Wir nähern uns dem Tag der Entscheidung. Die gestrigen Umfragen deuten wieder auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Brexit-Befürwortern und Gegnern. Die Aktienindizes konnten das Kursfeuerwerk des Vortages zwar nicht wiederholen, legten aber dennoch erneut zu. Die Marktteilnehmer scheinen hier weiterhin einen Verbleib der Briten in der EU vorwegzunehmen. Man geht fest davon aus, dass sich die noch unentschlossenen Wähler eher für das „Remain-Lager“ entscheiden werden. Das ist und bleibt in meinen Augen eine extrem riskante Wette.
Am Devisenmarkt scheint man den Optimismus der Aktienmärkte nicht zu teilen. Das britische Pfund stoppte seinen Höhenflug (GBP/USD NY-Closing am Tagestief @1,4639), der Euro schwächelte, der US-Dollar legte trotz sehr „taubenhafter“ Fed-Chefin (HH-Testimony) auf breiter Front zu. Letzterer bleibt damit als „Safe Heaven“ im Anlauf auf das Referendum gesucht.
An der CBOE bleibt der Short-Term VIX gefragt. Anders als ein Blick auf den Aktienmarkt vermuten lässt, scheint hier der Absicherungsbedarf für die nächsten Tage also weiterhin zu steigen. Dieser Volatilitätsindex zeigt anders als der VIX (30 Tage) die erwartete Schwankungsbreite im S&P der nächsten 9 Tage an. Er ist in der letzten Woche von 11 auf 22 gestiegen. Die Differenz zwischen VIX und Short-Term VIX steigt derzeit und ist auf dem höchsten Niveau seit dem August 2015 Crash. Wird, gemessen am VIX, das Brexit-Risiko und die damit verbundene bevorstehende Volatilität ebenfalls unterschätzt??? Der VIX (18,37) handelt zwar noch knapp über seiner 200 Tagelinie (@18,16), ist aber in den letzten Tagen wieder deutlich gefallen (Hoch letzte Woche 22,89). Ganz anders als vor genau einer Woche („risk off“ an allen Fronten), geben die einzelnen Marktsegmente ganz unterschiedliche Signale für das, was uns am Freitagmorgen erwartet. Nun, in weniger als 48 Stunden wissen wir mehr.
Je nachdem, wie die Briten sich entscheiden, erwartet die Bank of America nach der Veröffentlichung des Ergebnisses eine Bewegung von plus/minus 10% an den hiesigen Aktienmärkten. Ein Sell-Off bei uns würde die US-Indizes der Schätzung nach um 6% bis 7% nach unten ziehen. Auch die Deutsche Bank sieht das „Downside“ bei den europäischen Aktien bei gut 10%. Die Analysten der Citi haben ihren „Base-Case“ bei -5%, schließen im Extremfall aber eine Bewegung von -10% oder gar -20% aber nicht aus.
Die UBS warnt unterdes vor illiquiden Märkten nach der Brexit-Abstimmung und gibt gleichzeitig bekannt, eventuell nicht alle Kundenorders ausführen zu können. Auch sei im Extremfall überhaupt gar kein Handel möglich. „In the event that extreme market moves occur, giving rise to limited liquidity in certain currencies, we may not be able to fill limit orders or take profit at the levels, or using the methodologies, expected in normally-functioning markets“, heißt es in einem Statement unter anderem.
Laut EZB-Präsident Draghi haben sich die Zentralbanken auf marktstützende Maßnahmen im Falle eines Brexits geeinigt (z.B. Sicherung des $-Fundings durch Basis-Swaps). Wir dürfen gespannt sein, ob das reicht, wenn alle Geschäftsbanken ihre Kurse von den Bildschirmen nehmen.
Nachdem Bitcoin letzte Woche noch ein Hoch von fast 700 Euro erreichte, kam die digitale Währung in den letzten drei Handelstagen unter Druck. Zum einem spielt hier sicherlich auch die nachlassende „Brexit-Angst“ eine Rolle. Auch der Ausfall des Handels der Bitfinex Börse in Hongkong dürfte mit ein Grund gewesen sein. Zum anderen, verwechseln wahrscheinlich einige Marktteilnehmer das Debakel um Ethereum und den damit verbundenen Dao-Gau mit Bitcoin selbst. Der Kurs stabilisiert sich gerade knapp unter der 600 Euro.