- Ja, es gibt Phasen, da irrt sich der als so effizient gepriesene Kapitalmarkt eben doch. Die unsägliche Dämonisierung der Brexit-Beführworter, fragwürdige Telefonumfragen und die Wettquoten der Buchmacher verleiteten zu der Annahme und letztlich Einpreisung, dass die Briten der EU erhalten bleiben. Die implizierte Wahrscheinlichkeit dafür war am Donnerstag zum Handelsschluß in New York auf 87,5% gestiegen. In der „Remain-Euphorie“ kletterten die Indizes an der Wall Street auf die Schlüsselwiderstände, an denen wir in den letzten Jahren schon mehrfach abgeprallt sind (S&P >1.100). Das Wahlergebnis sollte nun die entscheidende Zündung bringen, die uns nachhaltig über diese Levels katapultiert. Das hatte man sich so erhofft, dafür hatte man sich aggressiv positioniert…und dann…..FEHLANZEIGE, …..FALSCH, ……SETZEN, …6!!!
- „Buy the rumor, sell the fact“, oder besser „Buy the polls, sell the results.“
- Henryk M. Broder warnte schon lange vor der Abstimmung in seinem Buch „Die letzten Tage Europas – Wie wir eine gute Idee versenken“, dass immer mehr Menschen vom undemokratischen, gleichmacherischen und wertevernichtenden Merkel-Barroso-Draghi-Europa genug haben. Es ist nämlich die gesetzestreue, steuerzahlende und brave Mittelschicht in den postindustriellen westlichen Ländern dieser Welt, die merkt, dass sie es sind, die gemolken werden und unter die Räder kommen. Angst, Unsicherheit und Perspektivlosigkeit veranlasst sie zum Aufbegehren gegen das Establishment. Der Sozialismus war der große Verlierer dieser Abstimmung. Nicht nur Clinton, auch Frau Merkel sollte sich dieser Tatsache im Wahlkampf bewusst werden, sonst droht auch Ihnen eine ähnliche Klatsche.
Es war taktisch äußerst unklug von der EU, ausgerechnet den Briten in ihrer „Stiff-Upper-Lip-Mentalität“ mit drastischen Konsequenzen zu drohen, anstelle mit Errungenschaften und Zukunftsperspektiven zu werben. Man ging sogar soweit, das Lager der Brexit-Befürworter mit für den Tod der Labour-Abgeordneten Jo Cox verantwortlich zu machen. Diese unglaubliche Entgleisung wurde zum Bumerang. Für die Europäische Union gilt das Sprichwort: Überheblichkeit, Arroganz und Dummheit sind Drillinge. - Wie es jetzt genau weitergeht mit der EU und Währungsunion, dass wissen wir alle nicht. Die Auswirkungen des Brexit sind weitreichend und langfristig. In mehreren Mitgliedsländern planen EU-Gegner ebenfalls Volksbefragungen. Großbritannien war eines der wenigen Netto-Zahler. Wer übernimmt wohl deren Netto-Anteil? Trotz massiver Bemühungen wollen nämlich einfach keine neuen Netto-Zahler beitreten, während neue Netto-Empfänger schlange stehen. Die EU, geschweige denn Währungsunion wird in ihrer jetzigen Form keine Zukunft haben, wenn Verträge weiter ständig gebrochen werden und die Sorgen der Bevölkerung nicht endlich ernst genommen werden.
Die besten Kommentare der Marktteilnehmer auf Twitter zum Thema #Brexit:
„Europe was moving towards socialism which they can no longer afford nor are they sustainable. UK is smart to leave!“
„Media is just too cosy with political power; they really have no idea at all about the populations in the nations in which they report.“
„Könnten die EU-Faschisten, Merkelaner und Neosozialisten endlich mal aufhören die Begriffe EU und Europa synonym zu verwenden.“
„Der #Brexit, die Umfragewerte für #Trump, oder das Erstarken linker wie rechter Parteien zeigt die Unzufriedenheit mit den Herrschenden.“
„Too bad Europe can’t shut down UK banks like in Greece to reverse the referendum.“
„…..the UK vote is symptomatic of a global middle class frustrated by wealth inequality, rising rents, shrinking wages & angst.“
„So, 1,3M English people have just kicked 5,3M Scots out of the EU. This cannot end well.“
„With #Brexit and the way the US presidential race is going…..Can wie take a Mulligan on 2016.“ (der Golf-Pro Rory McIlroy).
„Angebliche EU-Gegner sind keine wirklichen EU-Gegner. Sie sind nur maßlos enttäuscht was die EU aus sich selbst gemacht hat.“
„Nothing is as inevitable as a mistake whose time has come.“
„Einfach nur peinlich wie die Systempolitik mit dem Begriff „europäische Populisten“ umgeht – 33 Millionen Briten sind also Populisten…..“
„First the US, now the UK, has shown that calling millions of voters „racists“ is a sure way to lose their vote.“
Der wohl schlechteste Kommentar zum Brexit:
„This is a terrible day for the world. Never has the world needed @HillaryClinton more.“
- Was bedeutet das alles für die Kapitalmärkte??? Im besten Fall beruhigen sich die Börsen in den nächsten Tagen erst einmal. In jedem Fall ist der Brexit aber auf mittlere und lange Sicht der erste Dominostein in Richtung Auflösung der EU und Währungsunion in ihrer jetzigen Form. Investments in die Märkte der Peripherie werden vor diesem Hintergrund langfristig auf den Prüfstand gestellt werden müssen (z.B. Aktien und Staatsanleihen der Südländer). Wie im Anlauf auf 2007/2008 wird früher oder später ein sehr schmerzhafter Prozess in Gang gesetzt werden. Das Wichtigste dabei wird sein, nicht die gleichen Fehler wie in der Vergangenheit zu machen (auf zu hohe Schulden mit noch mehr Schulden zu reagieren), sondern dies als Gelegenheit zu verstehen, die wirklichen Probleme anzugehen.
- Kurzfristig, also für die nächsten Tage, wird es ganz wichtig zu sehen sein, ob die enorm gestiegene Volatilität wieder runterkommt. Das wäre die Grundvoraussetzung für eine Stabilisierung der Märkte. Der VIX-Index stieg am Freitag um sage und schreibe 36%. Es war prozentual einer der größten jemals gemessenen Anstiege. Sinkt die Vola nicht schnell, werden Quant-Fonds im großen Stil Aktien auf den Markt werfen müssen. Eine Abwärtsspirale würde sich in Gang setzen. Der Freitag wäre dann nur ein Vorbeben gewesen. Beim Dax ist es die Gegend um 9.500 (Freitag Closing 9.557), im S&P um 2.020/30 (2.037), die als Unterstützung unbedingt halten muss, damit nicht weitere Stop-Loss Marken ausgelöst werden.
Auch sollte man Augen und Ohren dahingehend offen halten, ob es falsch positionierte Marktteilnehmer schlichtweg zerrissen hat (Margin Calls, Hedge Funds) und Bankaktien ihren Boden aushämmern. Sollte sich außerdem der Höhenflug des US-Dollars als Krisenwährung fortsetzen, könnte das die Chinesen zu neuen Abwertungen ihrer Währung veranlassen. Heute Nacht ist genau das wieder passiert. Die PBoC wertete den Yuan im Fixing gegen den US-Dollar um 0,9% ab, so stark wie seit 10 Monaten nicht mehr (August Crash). Natürlich bleibt auch die Entwicklung des japanischen Yen als Risikoindikator ein ganz wichtiger Punkt (starker Yen = Risk Off). - Die Zentralbanken stehen nach eigenen Angaben bereit, um gegebenenfalls an den Kapitalmärkten zu intervenieren. Auch Yellen dürfte nach dem Wahlsieg des Brexit-Lagers ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut haben und vielleicht zu der Einsicht gekommen sein, dass sie die zwischenzeitliche Gelegenheit zur Zinserhöhung hätte lieber nutzen sollen. In den letzten 24 Monaten gab es genügend Zeitfenster dafür. Erstens hätte sie damit den erstarkten Yen an die Kandare nehmen können und zweitens hätte sie wieder Pulver für eventuell notwendige Zinssenkungen gehabt. Ein Händler schrieb passend dazu: „What is the bullish case again??? Abe,….Drahi,….Yellen??? Good luck cutting rates…..lol.“
- Tja, was ist der „bullish case“ in diesem Umfeld??? Während der Crashs (-5 bis 7%) im Oktober 2014 und August 2015 konnte man als Bulle noch argumentieren, dass das fundamentale Umfeld nicht das Schlechteste sei. Einen Exit der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt aus einem seit über vierzig Jahren bestehenden Wirtschaftsverbund zu einem Zeitpunkt an dem die Zentralbanken ihr Pulver verschossen haben, lässt dieses Argument nicht mehr zu.
- Die Bewegungen in den einzelnen Anlageklassen waren am Freitag dramatisch. So dramatisch, dass einige dieser „Swings“ viele Kollegen in ihrer Karriere wohl nicht mehr sehen werden. Für das britische Pfund war es zwischenzeitlich der größte „Intraday Move“ seit der Auflösung von Bretton-Woods (1973). Gegen den Yen verlor das Pfund Sterling zeitweise mehr als 13%. USD/JPY fiel zurück auf die Levels des Jahres 2014. Es war der größte Kursrückgang innerhalb eines Tages seit Oktober 1998. Die Aktienmärkte in Spanien und Italien verloren beide am Freitag über 12%. Über das Wochenende war genug Zeit darüber nachzudenken, was uns diese Bewegungen eigentlich sagen wollen.